Kann denn Liebe Sünde sein?

Fang Weigui war wissenschaftlicher Mitarbeiter der Medienwissenschaft und passionierter Raucher. Ein Gespräch über schlechte Angewohnheiten, das Internet und grillende Professoren.

Wer dafür sorgt, dass nach seiner Anwesenheit ganze Räume erneuert werden müssen, ist in der Regel entweder Vandale, Graffiti-Künstler oder Messie. Fang Weigui entspricht keinem dieser Typen, er hat einfach nur eine große Liebe: Die zur Zigarette, die ihn auf den vielen Stationen seines Berufslebens begleitete. Über zehn Jahre nach seiner Tätigkeit an der Uni Trier brennt das Feuer der Leidenschaft bei Fang immer noch, auch wenn die Zuneigung inzwischen zu einer Art Hassliebe geworden ist: „Leider rauche ich immer noch und das

nicht wenig. Aber ein Mann darf doch mindestens eine Sünde begehen, nicht?“, fragt er. Die Betonung liegt hierbei auf „mindestens“, denn wenig später ergänzt er fast schon philosophisch: „Ein Mann, der nur eine Sünde hat, ist fast schon heilig.“ Seine Sünden versucht Fang im kostengünstigen Bereich zu halten: „Die Zigarette, die ich rauche, ist eine Billige, die Marke hat aber einen großen Namen: Zhong Nan Hai, den Sitz des Zentralkomitees der KP Chinas, direkt neben der verbotenen Stadt in Peking.“

Mit Trickserei ins Internet

Während seiner Tätigkeit in Trier hat sich Fang als Mitarbeiter in einem interdisziplinären Forschungsprojekt der Medienwissenschaft und der Sinologie umfassend mit der Internetnutzung in seinem Heimatland beschäftigt. 2004 veröffentlichte er das Buch Das Internet und China. Digital sein, digitales Sein im Reich der Mitte, in dem er das Nutzungsverhalten der chinesischen Internetnutzer analysierte, die zu diesem Zeitpunkt gerade einmal sechs Prozent der Bevölkerung ausmachten. Was hat sich seitdem verändert? „Es ist

natürlich fast immer eine große Veränderung, wenn sich etwas in China verändert, einfach wegen der Bevölkerungszahl. Für die jungen Leute ist das Internet ein Ort für Entertainment. Aber in China ist das Internet selbstverständlich auch ein Werkzeug für Propaganda.“ Für Fang sind gesperrte Seiten und die euphemistisch als „Goldener Schild“ bekannte Staats-Firewall jedoch eher kleine Hindernisse als handfeste Probleme: „Als Wissenschaftler, der weltweit recherchieren möchte, muss man schon Tricks haben...“

„Ein bisschen idyllisch“

Seine Tätigkeit in der Medienwissenschaft von 2000 bis 2006 war jedoch nicht das Einzige, was Fang in Trier beschäftigt hat. Bereits von 1992 bis 1996 war er am Sinologischen Institut der Universität, um dort seine Post-Doc Arbeit zu verfassen. Auf die Frage, ob es einem Mann nach Aufenthalten in Peking, Shanghai und Berlin in der ältesten Stadt Deutschlands nicht schnell zu langweilig wird, antwortet Fang diplomatisch: „Natürlich gibt es Unterschiede zwischen Peking und Trier. Hier, in Peking, ist wirklich ein reges Leben, auch in der Wissenschaft, man sieht alle möglichen Leute aus

der ganzen Welt. Im Vergleich dazu ist Trier ein bisschen idyllisch.“ Trotzdem hat ihn die Idylle auch kulinarisch überzeugt – nicht nur wegen des Weines:  „Eine der schönsten Erinnerungen an die Zeit sind die Grillpartys bei Professor Bucher und Professor Pohl aus der Sinologie zuhause!“ Seine beiden Chefs hat Fang nicht nur wegen ihrer Fähigkeiten am Grill in guter Erinnerung: „Von ihnen habe ich sehr, sehr viel gelernt. Tolerant waren sie zu mir, einer in vieler Hinsicht nicht so disziplinierten Person, und nicht nur wegen Rauchen in meinem Arbeitszimmer.“

Wo lebt es sich besser?

Inzwischen, mit nunmehr 60 Jahren, hat Fang unzählige Erfahrungen in Deutschland und China gemacht und kennt das Leben und die Forschung in beiden Ländern. So recht entscheiden kann er sich trotzdem nicht, auch bei der Frage, wo die Studierenden fleißiger sind: „Fleißige Studenten gibt es immer, aber immer weniger, mindestens gemäß meiner Beobachtung in Peking, wo ich seit 10 Jahren arbeite. Im Moment arbeite ich gern an einer chinesischen Universität. Wenn man etwas geschafft hat, dann ist man ein freier Mensch, man hat sogar ein bisschen Prestige.“ Seine Sünde wird in China

allerdings eindeutig stärker akzeptiert als in Deutschland: „Ganz klar! Aber man kann feststellen, dass auch in China immer weniger geraucht wird. Offiziell heißt es, hier in Peking zum Beispiel, dass man in offiziellen Gebäuden nicht rauchen darf. In Wirklichkeit ist es aber anders.“ Trotzdem ist eine Rückkehr nach Deutschland für Fang nicht ausgeschlossen, wenn auch unwahrscheinlich: „Keine schlechte Option. Aber bei meinem Alter denkt man eher, wann man in den Ruhestand geht. Das weiß ich im Moment noch nicht.“

Pakt mit dem Teufel

Feuer steckt sogar im Namen von Weigui Fang: „In der chinesischen Sprache hat jedes Zeichen, beziehungsweise Wort, vier Töne, tausend Bedeutungen, je nach dem Kontext. Sogar Sinologen können die Töne zum Teil nicht beherrschen. Bei meinem Vornamen Weigui oder Wei-gui, also zwei Zeichen, weiß ich nicht, wie viele Kombinations-

möglichkeiten es gibt. In Kombination mit vier Tönen können bei den zwei Zeichen eine ganze Reihe unterschiedlicher Bedeutungen entstehen. Eine davon ist zum Beispiel ‚dem Teufel dienen.’“ Womit wir wieder bei den Sünden wären. Eine gute Sache hätte ein Pakt mit dem Teufel für Fang allerdings: Der hätte zumindest immer Feuer.

„Ich bin Fang Weigui kollegial und freundschaftlich sehr verbunden. Er gehört ja inzwischen zu den renommiertesten Wissenschaftlern Chinas, er ist nicht nur Professor an der Peking Normal University geworden, sondern trägt auch die höchste Auszeichnung "Yangtze River Scholar". Zu diesem Aufstieg hat ihm sicher auch die Projektarbeit in Trier geholfen. Ja, er ist immer noch ein starker Raucher und ein guter Trinker - ganz in der Tradition moderner chinesischer Intellektueller und vormoderner Literaten; und es ist eine Freude, mit ihm bei einem chinesischen Essen mit Bier - und Zigaretten zwischendurch - zu diskutieren.“

Karl-Heinz Pohl

emeritierter Professor des Sinologischen

Instituts Trier und Kollege von Weigui Fang

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