Entstehung des Fachs
Die Sicht der Lehrenden
Die Sicht der Studierenden
"Es geht alles, aber nicht auf einen Schlag"
Das Fach Medienwissenschaft hat eine ungewöhnliche Geschichte. Mit politischem Willen und einem großzügigen Förderer hob die Universität einen Studiengang aus der Taufe – mit einigen Geburtswehen.
Zwanzig Jahre liegt die Gründung der Medienwissenschaft zurück. Im Fachbereich II, wo damals Literatur- und Sprachwissenschaften gelehrt werden, gab es vor der Fachgründung das Zusatzzertifikat „Medienkommunikation“, das journalistische und medienpraktische Kompetenzen vermitteln sollte. Etwa 300 Interessierte studierten im Zertifikat, was auf eine große Nachfrage für ein medienwissenschaftliches Vollstudium schließen ließ.
Die Entstehung verdankt sich letztendlich einer besonderen Konstellation: Im Jahr 1995 bewilligte die
Nikolaus Koch Stiftung einen Antrag der Universität, eine Professur für eine Medienwissenschaft auf sieben Jahre mit rund 1,1 Millionen Mark zu finanzieren. Die Universität erklärte sich bereit, die Weiterfinanzierung zu übernehmen und selbst eine freie Professur zur Verfügung zu stellen.
Die Stiftungsprofessur war für Printmedien ausgeschrieben, auf die Hans-Jürgen Bucher berufen wurde. Er nahm im April 1997 den Dienst auf und erarbeitete eine Studienordnung. So konnte im Wintersemester 1997/1998 40 Studierende ein Magisterstudium der Medienwissenschaft aufnehmen. Zum Sommersemester 1998 wurde auf die Professur für Bild- und Fernsehmedien, die bisher von Ulrich Püschel vertreten wurde, Martin Loiperdinger berufen.
„Anfangs plante man klein“
Noch vier Jahre zuvor hatte der Fachbereich II allerdings die Medienwissenschaft nicht als ein eigenständiges Fach geplant, sondern als eine Art Zusatzangebot für Studierende der philologischen oder der wirtschaftswissenschaftlichen Fächer: In einem Papier des Fachbereichs heißt es: „Ein Ausbau zu einem Hauptfach-Studiengang ist nicht nur aus Kapazitätsgründen nicht sinnvoll, sondern auch noch aus einer anderen Überlegung: Wir halten es, auch unter dem Aspekt der Berufsaussichten, nicht für sinnvoll, einen ausschließlich medienwissenschaftlich orientierten Studienabschluss einzurichten […].“ Angesichts der Entwicklung des Faches in den vergangenen 20 Jahren kann man froh darüber sein, dass sich diese Skeptiker damals offensichtlich nicht durchsetzen konnten.
Jens-Peter Koester gehörte damals nicht zu den Skeptikern, sondern verweist darauf, dass es schon in seiner Zeit als Prodekan von 1991 bis 1993 immer wieder Gespräche über ein neues Fach gegeben habe. Besonders die Literaturwissenschaften der Germanistik, Anglistik und Romanistik brachten die Idee einer eigenständigen Medienwissenschaft ein. Aus dem ersten Jahr ist Koester eines besonders in Erinnerung geblieben: „Die Antrittsvorlesung von Professor Bucher war beeindruckend. Der Saal war brechend voll!“
Auch der damalige Kanzler, Ignaz Bender, hatte die im Papier des Fachbereichs beschriebenen Zweifel nicht und setzte sich beim Land für die Gründung des Fachs ein:
„Ein Akt der Improvisation“
Fach erinnert sich an die anfänglichen Tücken der Technik: „Da habe ich mir sehr viel Mühe gegeben, gute Bild- und Tonbeispiele zu integrieren. Und nichts ging, gar nichts. „Kein Problem, es geht bestimmt gleich“, musste ich dann immer sagen.“
Martin Loiperdinger ergänzt, dass auch die Organisation des Lehrbetriebs großer Improvisation bedurfte, da erst gegen Ende des Sommersemesters 1998 die Sekretariate mit Marie Luise Sachs und Gabi Stephan besetzt wurden.
Im April 1998 stieß Christof Barth als wissenschaftlicher Mitarbeiter zum Fach. Er merkte auch, dass aller Anfang schwer ist: „Mein erstes Seminar wurde sehr kurzfristig angeboten und nur zwei Leute haben sich angemeldet. So etwas ging nur damals, heute würde man das Seminar absagen, aber ich wollte natürlich auch meiner Lehrpflicht nachkommen und die beiden nicht enttäuschen.“
Das Fach hatte von Anfang an eine sehr hohe Nachfrage, weshalb der Zugang durch einen Numerus Clausus begrenzt wurde. Die Bewerberzahlen für die rund 60 Studienplätze lagen sehr bald über 1000. Heute ist das Fach Medienwissenschaft von den Studierendenzahlen das drittgrößte Fach im Fachbereich II. Dieser trägt inzwischen berechtigterweise auch die Bezeichnung „Sprach-, Literatur- und Medienwissenschaften.
Die ersten Semester beschreiben Hans-Jürgen Bucher, Martin Loiperdinger und Annette Deeken , die schon im Zusatzzertifikat gelehrt hatte, als „großen Akt der Improvisation.“ Besonders die Ansprüche an den praktischen Teil des Studiums waren für die Universität neu. So kam es gelegen, dass zum Zeitpunkt der Fachgründung die Universitäts-Video-Anlage (UVA) komplett neu ausgestattet werden musste. Obwohl die medientechnische Ausstattung des Faches nur schrittweise erfolgte, hat Hans-Jürgen Bucher die Anfangszeit in positiver Erinnerung: „Der Wille, uns zu helfen, war groß. Der damalige Präsident Rainer Hettich sagte immer: ‚Es geht alles, aber es geht nicht auf einen Schlag.‘ Das war für uns ein beruhigender Satz.“
Die Lehrenden erinnern sich, dass die Einbindung neuer Medien in die Lehre nicht reibungslos war: „Unser Computerraum war im fünften Stock und musste erst einmal verkabelt werden. Wir saßen mit 17 Computern und 40 Leuten in einem so kleinen Seminarraum, dass die Rechner irgendwann ausgestiegen sind, weil es zu heiß wurde“, berichtet Professor Bucher. Als er von einem Tele-Seminar mit der TU Ilmenau erzählt, bei dem die Seminare über das Internet kommunizierten, muss er schmunzeln: Das Seminar hatte damals die komplette Bandbreite der Universität, zwei Megabit, aufgebraucht. „Während des Seminars konnte man dann in der Bibliothek nicht mehr digital recherchieren.“
Auch Annette Deeken, außerplanmäßige Professorin im
"Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne…"
Wie die ersten Studierenden den neuen Studiengang Medienwissenschaft erlebten
Die Medienwissenschaft: gerade erst gegründet. Die Ausstattung: noch kaum vorhanden. Die Studienbewerber: schon hoch motiviert. Schon für das erste Wintersemester des neuen Faches Medienwissenschaft an der Universität Trier bewarben sich 100 junge Menschen, 40 erhielten einen der begehrten Plätze. Drei von ihnen waren Amelie Duckwitz, Karsten Hoppe und Gerhard Kloppenburg, die alle drei im Wintersemester 1997/98 ihr Studium aufnahmen. Sie erzählen, welche Erwartungen sie im Vorfeld hatten, warum sie sich für das "Abenteuer Medienwissenschaft" entschieden und wie sie das erste Semester erlebten. Ergänzt werden ihre Erinnerungen von Steffen Büffel, der zunächst als Tutor und studentische Hilfskraft in der Medienwissenschaft arbeitete und später in den Studiengang nachrückte.
Durch Zufall in der Trierer Medienwissenschaft gelandet
Die Erstsemester von 1997 hatten vor Ihrer Bewerbung noch "analoge Wege" gehen müssen, um sich über Studiengänge zu informieren. Nicht wenige von ihnen stießen daher eher zufällig auf das neue Fach an der Trierer Universität.
Amelie Duckwitz (Medienwissenschaft und Soziologie): "Im Studierendensekretariat der Uni Trier hing ein Plakat mit dem Hinweis auf den neuen Studiengang ‚Medienwissenschaft'. Das habe ich durch Zufall gesehen, als ich mich für Soziologie und Politikwissenschaft einschreiben wollte, und gedacht: Das klingt spannend, dafür bewerbe ich mich mal."
Karsten Hoppe (Medienwissenschaft, Soziologie und Ethnologie): "Es gab 1997 im Web noch keinen Überblick über die Studienplätze in Deutschland, sondern ein gedrucktes Buch, ‚ZVS-Studienführer' oder so ähnlich. Der neue Studiengang in Trier war in dem Buch noch nicht aufgeführt. Bei einem Anruf an der Trierer Uni erfuhr ich zufällig von dem Studiengang. Da hieß es dann: Ach so - wir sollen allen Bescheid geben, dass man bei uns auch Medienwissenschaft im Hauptfach belegen kann.'"
Die Hauptgründe für die Bewerbung der ersten Trierer Medienwissenschaftsstudierenden waren die Aussicht auf kleine Seminargruppen, die Kurse zu Online-Medien sowie die Praxisanteile des Studienganges.
Gerhard Kloppenburg (Medienwissenschaft, Soziologie und Politikwissenschaft): "Mir waren vor allem die praktischen Inhalte bzw. die Übungen sehr wichtig. Ich wollte ‚Handwerkszeug' fürs spätere Berufsleben lernen. Auch die Interdisziplinarität des Studiengangs hat mich sehr gereizt und Erwartungen geweckt, die auch erfüllt wurden."
Amelie Duckwitz
Erstsemester aus dem Wintersemester 1997/98, heute Professorin für Medien- und Webwissenschaft an der TH Köln.
Was hat das neue Fach zu bieten?
In einer Sonderbeilage berichtet der Trierische Volksfreund über den noch jungen Studiengang Medienwissenschaft
Karsten Hoppe
Erstsemester des Wintersemesters 1997/98, heute Senior-Berater der TDUB Kommunikationsberatung in Hamburg.
Mehr Infos hier, unter Absolventen, unter dem Punkt "Hamburg"
Wenig Ausstattung, umso mehr Motivation
Dadurch, dass das Fach noch in der Aufbauphase steckte, waren Improvisation und einige Schwierigkeiten vorprogrammiert. Steffen Büffel, der als Tutor und studentische Hilfskraft für die Professur von Hans-Jürgen Bucher arbeitete, sind vor allem technische Schwierigkeiten im Gedächtnis geblieben.
Steffen Büffel (Anglistik, Germanistik, Medienwissenschaft): "Ich erinnere mich noch an den einzigen Beamer, den es an der Uni gab. Den konnte man per Antrag im Rechenzentrum ausleihen. Er war wie ein überdimensionierter und überladener Reisekoffer und musste mit einem kleinen Einkaufswagen, wie man sie aus dem Baumarkt kennt, über den halben Campus gefahren werden."
Die Studierenden der ersten Semester scheint das jedoch nicht gestört zu haben - im Gegenteil. Immer wieder beschreiben sie die frühen Jahre der Medienwissenschaft als "Start in etwas ganz Neues", sie sprechen von "Pioniergeist" und "Aufbruchsstimmung".
Karsten Hoppe: "Wir haben viel ausprobieren können. Wir hatten viele Freiheiten. Es war ein Aufbruch."
Steffen Büffel: "Alles war so neu und im Aufbruch - nicht nur für die Studierenden, sondern meinem Eindruck nach auch für die Professoren und Mitarbeiter. Ohne es zu sehr verklären zu wollen: es herrschte ein ganz besonderer Spirit in den ersten Monaten und Semestern."
Der Beamer der 90er
Der von Steffen Büffel erwähnte Beamer ist immer noch in der UVA zu finden. Das Modell "sony super bright vph 1000qm" hat die Maße 53,2 x 59,7 cm und ist 30kg schwer.
Teleseminar mit der TU Ilmenau
Eine Präsentation während des Teleseminars. Auf der Leinwand sind Studierende der TU Ilmenau zu sehen. Hierfür wurde die gesamte Bandbreite der Uni Trier in Anspruch genommen.
Medienprojekte als Test für den beruflichen Ernstfall
Gerade Medienprojekte wie das Teleseminar mit der TU Ilmenau, bei dem zwei Seminarräume der beiden Universitäten über das Internet verbunden wurden, oder Studien zur Benutzerfreundlichkeit früher Webseiten von SWR und Handelsblatt werden von den ehemaligen Studierenden hervorgehoben.
Steffen Büffel: "Aus heutiger Sicht haben die Medienprojekte nahezu perfekt simuliert, wie es auch heute noch in der Praxis von Verlagen, Medienbetrieben oder in Kommunikationsabteilungen von Unternehmen zugeht: Konzeption, Projektmanagement, crossmediales Arbeiten, Arbeiten im Team - all das konnten wir in den Medienprojekten simulieren und hautnah miterleben. Dazu gehörten auch zahlreiche Diskussionen, Überstunden, Nachtschichten und auch der ein oder andere Nervenzusammenbruch - am Ende aber immer mit einem spektakulären Ergebnis."
Amelie Duckwitz erinnert sich besonders positiv an ein Projekt, in dem Studierende eine CD-ROM zum 125-jährigen Jubiläum des Trierischen Volksfreund gestalteten:
"Während dieses Projektes bin ich zum ersten Mal während einer praktischen Arbeit in den berühmten 'Flow' gekommen und habe gedacht: Das möchte ich später mal machen, multimediale, vernetzte Webinhalte planen und umsetzen. Nach meiner Zeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Medienwissenschaft bin ich dann auch tatsächlich in der Website-Konzeption gelandet, wofür das Studium optimal vorbereitet hat."
Der Wohlfühlfaktor: Nahbare Dozenten und erste Freundschaften
Im Rückblick schätzen die Studierenden des ersten Semesters, dass durch die geringe Zahl der Studierende eine intensive Betreuung möglich war und ein enges Verhältnis zwischen Studierenden und Lehrenden entstand.
Multimediaprojekt 125 Jahre Trierischer Volksfreund
Die Online-Redaktion des Projektseminars
Leitung: Karl Ewald und Holger Farken (SWR3.online, Baden-Baden)
Studierende: Steffen Büffel, Christine Cubasch, Amelie Duckwitz, Karsten Hoppe, Christoph Hubertus, Susanne Schmidt, Stefan Schopohl, Claudia Weirich, Jörg Wollscheid
Karsten Hoppe: "Wir haben Herrn Prof. Dr. Bucher beim Einzug in seine neue Wohnung in Trier besucht - Dr. Barth war auch dabei - und anschließend ein paar Bier getrunken. Es war ein komisches Gefühl, so nah und kollegial mit einem Professor umgehen zu können. Wir waren ein kleines Team und jeder kannte jeden."
Eine Tradition, die sich gehalten hat:
Bis heute findet jedes Semester eine Mewi-Party statt.
Die kleinen Seminargruppen begünstigten auch das Verhältnis der Studierenden untereinander. Die ersten Studierenden erinnern sich, dass bereits nach kurzer Zeit enge Freundschaften entstanden. Wenig überraschend also, dass schon bald die erste "MeWi-Party" ins Leben gerufen wurde, die bis heute jedes Semester stattfindet.
Karsten Hoppe: „Mein Kumpel Christoph Hubertus und ich waren sehr in Feierlaune und durch meinen Hintergrund in der Musikbranche trauten wir uns zu, eine erste ‚MeWi-Party‘ zu organisieren, bei der viele aus dem ersten Studienjahr anpackten. Die fand dann im Studihaus statt. Es war brechend voll.“
Anfang der 2000er verließen die meisten Studierenden des ersten Jahrgangs Medienwissenschaft die Universität Trier. Heute arbeiten sie in den unterschiedlichsten Bereichen: Journalismus, Public Relations, Unternehmensberatung, Medienforschung. Für die Zukunft der Medienwissenschaft haben sie jedoch denselben Wunsch: "auch weiterhin über den Tellerrand zu schauen und am Puls der Zeit zu sein und zu bleiben" (Steffen Büffel).