Wir sind die ewigen Studenten
„Ich möchte mein Hirn noch ein bisschen strapazieren“
Die Zeit nach dem Berufsleben sinnvoll gestalten, den Intellekt weiterhin fordern, oder, um es mit den Worten von Heinrich Herres zu sagen: „Das Hirn noch ein bisschen strapazieren” – das ist für die fünf Senioren das zentrale Motiv, sich auch im Alter noch einmal mit komplexer Theorie auseinanderzusetzen. Sie sind sich einig, dass das Seniorenstudium an der Universität genau das Richtige dafür ist.
Beim Lesen der Tageszeitung, ihrem morgendlichen Ritual, haben sowohl Klaus Orth als auch Helga Gerhards von der Möglichkeit des Seniorenstudiums an der Universität Trier erfahren und sich anschließend direkt für eine Gasthörerschaft eingeschrieben. Ganz anders war es bei Reinhold Zanoth: Der 70-jährige hatte
vor seiner Immatrikulation gezielt im Netz nach Angeboten für Senioren gesucht.
Die Seniorenstudierenden sind auch nach mehreren Semestern immer noch begeistert von dem Angebot. Von Langeweile keine Spur! Das Gaststudium begreifen die Fünf als Chance, auch im Ruhestand einen geregelten Alltag aufrechtzuerhalten, mit jungen Menschen in Kontakt zu treten und verschiedenste Fachbereiche jenseits des eigenen Berufes kennenzulernen.
Die Familien der Senioren unterstützen deren Entscheidung, im Alter noch einmal in die Theorie einzutauchen. Einige studieren an derselben Universität wie ihre Enkel – Mensabesuche mit Oma und Opa stehen trotzdem nicht auf dem Programm.
Medienwissenschaftlerin Carina Lennartz wirft einen Blick in Reinhold Zanoths Aufzeichnungen aus verschiedenen Vorlesungen.
„Durch diesen Dschungel gesund hindurch kommen“
Vor allem Neugierde war es, die die fünf Senioren in Vorlesungen der Medienwissenschaft gebracht hat. Klaus Faulhauer, Helga Gerhards, Heinrich Herres, Klaus Orth und Reinhold Zanoth haben ein großes Interesse an der sich stetig verändernden Medienlandschaft. Nicht nur die klassischen Massenmedien spielen in ihrem Alltag eine Rolle, es gibt auch immer mehr Berührungspunkte mit neuen Medien und Entwicklungen: sei es das Tablet, das unter Anleitung von den Kindern benutzt wird, oder der morgendliche Nachrichtenkonsum über das Amazon Echo. Heinrich Herres findet es daher wichtig zu schauen, dass man „durch diesen [Medien-]Dschungel einigermaßen gesund hindurch kommt“.
Der pensionierte Lehrer Heinrich Herres ist zum wiederholten Mal in der Vorlesung von Professor Bucher dabei:
Ihm haben sowohl der Aufbau als auch die Inhalte gut
gefallen. Er will den Wandel der Medien in den letzten Jahren nachvollziehen können und etwas darüber erfahren, wie sich dies in den Methoden und Theorien niederschlägt.
Die vielen Veränderungen in der schnelllebigen Medienlandschaft haben auch Reinhold Zanoth dazu bewogen, sich nach sieben Jahren Seniorenstudium nun zum ersten Mal in eine medienwissenschaftliche Veranstaltung zu setzen. Zuvor hatte er sich bewusst dagegen entschieden, da bereits sein Berufsleben von den Medien geprägt gewesen war: Nach seiner langjährigen Tätigkeit beim Verband Privater Rundfunk und Telemedien e.V. wollte sich Zanoth zunächst ganz bewusst anderen Fächern wie der Philosophie zuwenden. Nun will er überprüfen, wie sich die Medienwelt seit seiner Pensionierung verändert hat.
Im Notizbuch von Klaus Faulhauer werden nicht nur Theorien der Medienwissenschaft, sondern auch die lustigsten Statements von der Twitter-Wall festgehalten. Wie hier: „Th17: Haste Bock? Schläfst du?“
„Das Schönste ist diese Twitter-Wall, das ist herrlich!”
Seit etwa zehn Jahren gibt es in der Einführungsvorlesung „Theorien und Methoden der Medienwissenschaft“ die Twitter-Wall. Hier können die Studierenden per Tweet unkompliziert und anonym Fragen äußern oder Diskussionen anstoßen. Diese werden live auf einem Bildschirm neben dem Rednerpult gezeigt. Reinhold Zanoth bedauert, dass die Studierenden oft nicht die Gelegenheit nutzen, eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem aktuellen Thema der Vorlesung zu führen, sondern auch weniger ernst Gemeintes twittern. Der ehemalige Chefarzt Klaus Faulhauer ist hingegen ganz angetan von den Tweets der jüngeren Studierenden. Er amüsiert sich über die themenfernen Kurznachrichten und notiert die Highlights in seinem Notizbuch.
Selbst aktiv wird bei der Twitter-Wall allerdings keiner der Seniorenstudierenden, was auch mit ihrem Selbstverständnis zusammenhängt: Sie verstehen sich als
Gäste und sind dementsprechend eher passive Zuhörer. Trotzdem schreiben sie alle für ihr eigenes Archiv und zur Verinnerlichung fleißig mit. Klaus Orth und Heinrich Herres übertragen die handschriftlichen Notizen sogar zuhause noch in digitale Form und ergänzen sie mit weiteren Informationen aus den Vorlesungsmaterialien.
Ihnen geht es darum, die Inhalte bestmöglich zu strukturieren und sich so ihr eigenes Nachschlagewerk zu schaffen. So verwahren auch Faulhauer, Gerhards und Zanoth ihre Mitschriften.
Klaus Faulhauer erfreut sich an den
Tweets der Kommilitonen.
Heinrich Herres setzt sich wie die anderen Senioren aktiv mit neuer Technologie auseinander: Hier zeigt er seine Mitschriften auf dem Tablet.
Service
Klaus Orth wirft einen kritischen Blick
auf TV-Moderatoren.
„Die Tageszeitung bleibt bei uns abonniert“
Die fünf Senioren sind gut informiert über die neuesten Medienentwicklungen; fast alle besitzen ein Smartphone und nutzen ein Tablet, zum Beispiel für die Mitschriften in der Vorlesung. Neben dem Fernsehen ist die Tageszeitung die wichtigste Informationsquelle.
Doch auf welches Medium würden die Senioren am wenigsten verzichten wollen? Klaus Orth ist ein Verfechter der Tageszeitung, während bei Zanoth und Herres das Internet mit seiner Vielfalt an Informationen die Nase vorn hat. Dennoch gehört die Zeitung auch zu ihrem Alltag; ebenso wie bei Helga Gerhards.
Dass sie von dem Besuch der medienwissenschaft-
lichen Vorlesung profitieren, steht für die Fünf außer
An der Universität Trier ist ein Seniorenstudium im Rahmen des Angebots Campus der Generationen möglich. Nach Beantragung einer Gasthörerschaft können
Senioren an Vorlesungen und Seminaren teilnehmen. Die Gebühren richten sich nach der gewünschten Veranstaltungsanzahl und liegen pro Semester zwischen 140 und 300 Euro.
Frage. Durch die anschaulichen Beispiele aus den Veranstaltungen, werden sie zu kritischeren Rezipienten: Beim alltäglichen Medienkonsum von Zeitung und Fernsehsendungen hinterfragen sie nun intensiver als zuvor. Man lernt eben tatsächlich nie aus.